Überblick
Wie reagiert das Umfeld auf die psychische Erkrankung?
Bekommst Du vielleicht mit, dass andere Menschen auf einmal schlecht über Deine Mutter oder Deinen Vater reden? Sie nennen ihn oder sie vielleicht „verrückt“ oder sagen, dass er oder sie „eine Schraube locker hat“, „einen an der Waffel hat“ oder „nicht mehr alle Tassen im Schrank hat“ oder ähnliche gemeine Dinge.
Das liegt oft daran, dass es immer noch viele Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Problemen gibt. Diese Vorurteile entstehen oft aus Bequemlichkeit, Unwissenheit oder Angst und kommen daher, dass nur selten offen über psychische Probleme gesprochen wird. Das ist eigentlich seltsam, da jede dritte erwachsene Person im Laufe ihres Lebens mindestens einmal psychische Probleme bekommt. Es ist also gar nicht so ungewöhnlich, dass Deine Mutter oder Dein Vater so ein Problem hat – vielen Menschen geht es ähnlich. Trotzdem ist es nicht leicht darüber zu sprechen. Vielleicht versuchst Du aber trotzdem mal mit Deinen engsten Freunden oder einer anderen Person, der Du vertraust, darüber zu reden? Erkläre Ihnen, was bei euch Zuhause los ist. Dadurch können sie vielleicht Dich und das Verhalten Deiner Eltern besser verstehen.
Wird sich durch die psychische Erkrankung auch mein Leben ändern?
Wenn jemand in der Familie psychische Probleme bekommt, betrifft das oft alle Familienmitglieder. Vielleicht ist das bei Dir auch so und Du hast schon bemerkt, dass sich auf einmal alles um Deine Mutter oder Deinen Vater dreht?
Es kann auch sein, dass Deine Eltern Dich weniger beachten, es mehr Streit gibt oder Du mehr im Haushalt helfen musst, weil Deine Mutter oder Dein Vater nicht mehr alle Aufgaben schafft, die sie oder er vorher übernommen hat. Es ist natürlich super, wenn Du im Haushalt mithilfst, aber es kann niemand von Dir erwarten, dass Du alle Aufgaben Deiner Mutter oder Deines Vaters übernimmst!
Wenn Du merkst, dass Dich die Probleme Zuhause sehr belasten und Du Dich dadurch zum Beispiel nicht mehr in der Schule konzentrieren kannst oder keine Zeit mehr hast, etwas mit Freunden zu unternehmen, sprich bitte unbedingt mit einer Person, der du vertraust, zum Beispiel mit einem Lehrer, Sporttrainer oder Deinem Hausarzt und sag ihm oder ihr, dass Du Hilfe brauchst.
Erfahrungen von Kindern mit psychisch erkranktem Elternteil
Kennst Du die Situation, dass Deine Mutter oder Dein Vater mit Dir über Dinge spricht, über die ihr vorher nicht geredet habt?
Beispielsweise beschwert sie oder er sich über Dein anderes Elternteil, redet mit Dir über einen Streit, den die beiden hatten und Du weißt gar nicht, was Du dazu sagen sollst? Das nennt man Parentifizierung und es bedeutet, dass Dein Elternteil dich quasi als Partnerersatz benutzt, weil der eigentliche Partner momentan nicht so für ihn oder sie da sein kann, wie sonst. Das macht niemand aus böser Absicht, aber es wirkt sich oft nicht gut auf die betroffenen Kinder aus und ist deswegen oftmals ein Problem.
Du hast wahrscheinlich schon genug damit zu tun, Sachen im Haushalt zu erledigen, auf Deine Geschwister aufzupassen und darauf zu achten, dass Dein kranker Elternteil zur Therapie geht oder seine Medikamente nimmt. Dadurch fühlst Du dich vielleicht allein, schuldig oder schämst dich. Weil sie diese Gefühle haben, trauen sich viele Kinder in Deiner Situation auch nicht mit anderen darüber zu reden. Aber das führt nur dazu, dass sie sich noch mehr allein fühlen und ihnen auch niemand anderes helfen kann.
Deswegen ist es wichtig mit anderen Menschen darüber zu reden! Es kann aber auch schon helfen Dich auf dieser Website ein bisschen umzuschauen und etwas mehr Informationen über psychische Probleme zu lesen. Dadurch kannst Du besser verstehen, was in Deinen Eltern vorgeht und was Du in schwierigen Situationen tun kannst oder wo Du Hilfe finden kannst.

Erfahrungsberichte von Marie und Leon
chimpsnetMarie wohnt mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder zusammen. Maries Mutter ist depressiv. Alles fing damit an, dass sich ihre Mutter immer mehr verändert hat. Sie ist mit der Zeit immer trauriger geworden und hat aufgehört Sachen zu machen, die ihr früher noch viel Freude bereitet haben – das Backen leckerer Kuchen war sonst immer ihr Lieblingshobby gewesen. Maries Mutter hat sehr viel geschlafen, manchmal so lang, dass sie noch im Bett lag, wenn Marie von der Schule wieder nach Hause kam. Auch hatte sie ganz arge Probleme sich zu konzentrieren und Marie und ihrem kleinen Bruder bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Marie machte sich sehr viele Sorgen um ihre Mutter und wusste überhaupt nicht, was sie tun sollte.
In der Schule überlegte Marie daher die ganze Zeit, wie sie ihrer Mutter helfen könnte. Dadurch war sie immer unkonzentrierter und konnte dem Unterricht nur noch schwierig folgen. Auch zog Marie sich immer und immer mehr zurück und verbrachte sehr viel Zeit zu Hause bei Ihrer Mutter, um für sie da zu sein und ihr zu Hause und mit Ihrem kleinerem Bruder zu helfen.
Maries Mutter wurde immer trauriger, bald so traurig, dass Marie dachte, ihre Mutter könnte sich etwas antun. Daraufhin haben Maries Eltern das Gespräch mit ihr gesucht. Ihre Mutter erzählte ihr dann zum ersten Mal, dass sie unter Depressionen leide und nun Hilfe von einer Therapeutin bekommen würde. Außerdem würde Maries Mutter Medikamente gegen Depression nehmen, um besser durch den Tag zu kommen.
Marie hatte vorher noch nie von Depression gehört, weshalb sie sich zusammen mit ihrer Mutter über die Erkrankung informiert hat. Mehr über Depression zu wissen, half Marie dabei die Erkrankung ihrer Mutter besser zu verstehen und auch das Verhalten der Mutter besser zu verstehen. Marie hat es gutgetan zu erfahren, dass sie nicht alleine ist und sich viele Kinder über ihre psychisch erkrankte Mutter oder Vater Sorgen machen. Dass Reden über ihre Erkrankung mit ihrer Mutter hat Marie sehr geholfen, weil ihr klar wurde, dass sie nichts für die Erkrankung der Mutter kann und nicht schuld daran ist, wenn es ihr nicht gut geht. Zusätzlich haben Marie und ihre Mutter auch Hilfe in einer Erziehungsberatungsstelle gesucht, wo sie regelmäßig Beratungsgespräche wahrnehmen.
Für Marie war es sehr hilfreich, dass ihre Mutter offen mit ihr darüber gesprochen hat, sie macht sich nun viel weniger Sorgen um ihre Mutter. Marie kommt im Unterricht wieder gut mit und trifft regelmäßig ihre Freunde.
Verfasser:innen
Dr. Moritz Köhnen (M.Sc. Psych), Laura Emde (B.Sc. Psych.), Priv.-Doz. Dr. Jörg Dirmaier (Psychologischer Psychotherapeut)
Datum der Erstellung: 10.02.2022
Datum der letzten inhaltlichen Überarbeitung: 11.02.2022
Quellen
Textquellen
BApK. (n.d.). Psychiatrienetz. https://www.bapk.de/der-bapk.html
Earley, L., & Cushway, D. (2002). The Parentified Child. Clinical Child Psychology and Psychiatry, 7(2), 163–178. https://doi.org/https://doi.org/10.1177/1359104502007002005
Gladstone, B. M., Boydell, K. M., Seeman, M. V., & McKeever, P. D. . (2011). Children’s experiences of parental mental illness: A literature review. Early Intervention in Psychiatry, 5, 271–289.
Reupert, A., & Maybery, D. (2010). “Knowledge is Power”: Educating Children About Their Parent’s Mental Illness. Social Work in Health Care, 49:7, 630-646. https://doi.org/https://doi.org/10.1080/00981380903364791